Zwei unerwartete Alben oder wie Taylor Swift indie wird

CD-Kritik: Zwei unerwartete Alben
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Den Titeltrack zum Album «Crosseyed Heart» wirft Keith Richards mal eben locker aus dem Handegelenk, entlockt der Gitarre filigrane Töne und zeigt sich als Geniesser. Genüsslich lässt sich Keith in den Blues fallen und schafft mit ganz wenigen Mitteln einen minimalistischen Song, der eine schier unglaubliche Kraft entwickelt. Sofort taucht man in die Würdigung des Blues‘ ein, die hier stattfindet, merkt dass Robert Johnson wohl für den hauptberuflichen Rolling Stone ein wichtiger Einfluss war. Schon ist man mitten in einem Album, das zwar seit August angekündigt war, das man aber so wohl nicht erwartet hatte. Einerseits erzählt Keith Richards schon lange in Interviews davon, ein neues Soloalbum zu machen, und andererseits ist es doch das erste Album seit zwanzig Jahren. Und doch ist ihm, der nicht als der beste Sänger gilt, ein grosser Wurf gelungen. Dreckig und roh, dann aber auch nachdenklich und melancholisch und in erster Linie komplett entspannt und unkompliziert. Es scheint, dass Keith Richards immer besser wird. 

 

Richards lebt für die Musik. Daraus macht der 71-Jährige seit jeher keinen Hehl. Seine Passion ist der Blues. Aber er spielt auch gerne mit anderen Genres, so wandert er auf «Crosseyed Heart» schon mal durch Reggae oder Pop und nutzt Einflüsse, wie sie ihm gerade passen. Das ist das goldrichtige Rezept. Beim Hören der Platte nimmt einen Keith Richards mit auf eine Reise durch seine grosse Liebe, zeigt, was in seinem Kopf an guten Ideen da ist. Etwa die rockigere Nummer «Heartstopper», die so geschickt komponiert ist, dass sie sofort im Ohr hängen bleibt. Richards hat sich auch Gäste eingeladen. Beispielsweise Norah Jones, mit der er «Illusion» singt, aber auch seinen alten Freund Aaron Neville. Die zwei Musiker geben dem Song «Nothing On Me» eine Seele. Wunderbar. An manchen Stellen zeigt sich Keith aber auch von der ernsten Seite, etwa wenn er in «Love Overdue» von «Prisoner of Lonliness» singt. Aber Keith Richards war schon immer ein Künstler, der aus den schwierigen Minuten im Leben Kraft für die hellen Sekunden gezogen hat. Das merkt man und so macht das (etwas überraschende) Solo-Album von der ersten bis zur letzten Note viel Spass. 

 

Keith Richards - «Trouble»

 

Urban Legend oder doch nicht?

 

Das andere Album, das etwas überraschend vor ein paar Tagen auf den Markt gekommen ist, begann mit einem Post bei Instagram. Da schrieb der als Alternative-Künstler und Indie-Liebling bekannte Ryan Adams plötzlich von Aufnahmen für Covers von Taylor Swift. Gerüchte wurden laut, dass Ryan Adams gar das komplette «1989»-Album neu einspielen würde. Inklusive der Hit-Singles. Das Netz fragte sich einen Moment lang, ob das ein gut geplanter PR-Coup sei. Inzwischen war Taylor Swift ganz aus dem Häuschen, denn von Ryan Adams gecovert zu werden, ist schon eine kleine Ehre. Selbst für eine Sängerin, die ganze Stadien füllt, und schon mal von Mick Jagger auf der Bühne besucht wird (In Nashville auf der aktuellen Tour). Ryan Adams seinerseits postete immer wieder Bilder, die darauf hindeuteten, dass die inzwischen zur kleinen «Urban Legend» gewachsene Geschichte stimmen könnte. Vor ein paar Tagen war es dann soweit und Sony gab bekannt, dass «1989» von Ryan Adams auf dem Markt sei. 

 

Jetzt liegt das Album also vor. Ob das jetzt eine Sensation ist oder nicht, hängt wahrscheinlich von der Perspektive ab, aus der man das Album betrachtet. Wie klingt Taylor Swift, wenn sie indie wird? Beim Hören wird aber schnell klar, dass Ryan, der nicht immer so leicht zugängige Indie-Künstler, sich viel Gedanken zu Swifts‘ Songs gemacht hat. Gerade eine Pop-Nummer, die durchaus einen gewissen Nervfaktor besitzt, wie «Shake It Off», wird bei Ryan Adams zur düsteren Gitarren-Nummer. Gut, er hatte ja versprochen, dass das Album im Stile von The Smiths aufgenommen würde. Diesen Punkt trifft Ryan Adams ziemlich gut und bleibt konsequent. Es gelingt ihm, die Songs zu seinen eigenen zu machen, sie mit der unwiderstehlich melancholischen Note zum Leben zu erwecken, die er selbst so gerne in seiner Musik pflegt. Natürlich ist das Covern eines ganzen Album auch ein Risiko, sowieso wenn es ein Top-Seller ist. Schnell könnten Stimmen laut werden, dass eigene Ideen fehlen oder dass die Fallhöhe bei populären Hits hoch sei. Zwar wahr, aber geschenkt, denn Ryan Adams ist einer jener Künstler, die sich nicht in den Schaffensprozess reinreden lassen. Der Erfolg gibt ihm Recht. Ryan Adams geniesst einen sehr guten Ruf bei Fans und der Presse und dieses Album wird seine Reputation ganz bestimmt nicht schmälern. Wenn man es ernst nimmt, ist es erstaunlich gut. Betrachtet man es mit Ironie, ist es sogar noch besser. Es scheint, dass er so etwas wie der Vorreiter des unabhängigen Künstlers ist. Wie gut sein Ruf ist, zeigt ja auch, dass Taylor Swift im Vorfeld in den Social Media Plattformen postete, dass sie kaum mehr schlafen könne, weil sie so gespannt sei. Könnte natürlich alles abgsprochen sein. Aber das würde nicht zu Ryan Adams passen. Wahrscheinlicher ist, dass er einfach Spass daran hatte und ein diebisches Vergnügen verspürt haben muss, die bekannten Songs in seine ganz eigene Welt zu holen. Das funktioniert ziemlich gut. Zwar nicht gaz so locker, wie das bei Keith Richards Album klingt, aber Spass macht Ryan Adams‘ Version von «1989» auf alle Fälle. 

 

Bleibt die Frage, ob sich Taylor Swift bei Ryan Adams revanchieren wird…

 

Ryan Adams - «Shake It Off»

 

Sowohl Keith Richards‘ «Crosseyed Heart» als auch Ryan Adams‘ «1989» sind auf allen Kanälen und im Internet erhältlich. 

 

Zwei sehr unterschiedliche Künstler bringen fast zeitgleich zwei unerwartete Alben auf den Markt und beide machen sehr viel Spass. Adams zerlegt die Songs von Taylor Swift genüsslich und Richards lebt seine musikalischen Vorlieben ohne Grenzen aus. Ein guter Start in den musikalischen Herbst. 

Patrick Holenstein / Sa, 26. Sep 2015